NEUE BILDER 2010

Galerie Berlin, Berlin

28. Oktober 2010 - 15. Januar 2011

Landstraßenrand

Tagesspiegel
11.12.2010
Kerstin Decker

Da trägt einer dick auf, ganz dick. Als wolle er alle beschämen, die es vor ihm versucht haben. Eine Tube pro Strich, so ungefähr. Blauestes Blau. Und das Rot gleich daneben ist wie eine Kriegserklärung. Und noch haben wir von all den anderen Farben und Linien, aus denen ein Bouet-Baum wächst, noch gar nichts gesagt. Ein typischer Bouet-Baum ist ein Schlachtfeld. Aber eines von berückender Harmonie. Dieser rotgelbschwarzorangeblaue Stamm bricht nicht. Baumstämme sind braun? Niemand, der ein Christoph-Bouet-Bild gesehen hat, würde das je wieder behaupten. Ja, vielleicht könnte er es nicht einmal mehr so sehen.
Das Merkwürdigste, das Faszinierendste an Christoph Bouets botanischen Bacchanalien aus dem Geist der Magdeburger Börde ist: Jeder Strich scheint da, wo er ist, absolut notwendig zu sein, an diese und nur an diese Stelle zu gehören. Und mit den Farben ist es ebenso. Was für Arrangements aus Chaos und Notwendigkeit! Wer ist dieser Maler, der mit einer Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit Welten erschafft, umschafft, als sei es das Nächstliegende?
Ja, das war zu erwarten. Freundlich ist er, von großer Ruhe. Nicht laut wie seine Bilder. Aber nein, auch seine schreienden Bilder sind ja nicht laut, sondern in all ihrem Aufruhr zugleich sehr leise. Als wüssten sie etwas vom Frieden des Schöpfungsmorgens. Egal wie: Menschen, die ihre schöpfungsmorgendlichen Schlachtfelder in sich selber tragen wie Bouet, sind oft von solch gewinnender Zurückhaltung und vor allem: ganz ohne Pose. Es ist kein Malerdarsteller, es ist ein Maler, der da in der Galerie des Galeristen seiner Wahl steht und die eigenen Werke für die kommende Ausstellung mustert. Haben alle den richtigen Nachbarn? Und halten sie noch immer seinen Blicken stand?
Es gibt solche, die ihn sofort glücklich machen, wenn er sie wieder ansieht, und solche, die ihn erst noch überzeugen müssen. Er traut es ihnen zu. Denn nicht selten ist ein Bild klüger als sein Maler. Wäre das nicht so, lohnte das ganze Malen nicht.
Normalerweise erwählen sich Galeristen ihre Maler, aber Rüdiger Küttner und seine Frau von der Galerie Berlin in der Auguststraße wurden erwählt. Das war vor genau zehn Jahren. Sie zeigten gerade zum 75. Geburtstag Bernhard Heisigs die Ausstellung „Eine Malerfamilie“. Bouet kam, sah und wusste: Hier bin ich richtig. Er ging wieder, ohne etwas zu sagen, der Galerist würde früh genug erfahren, dass er erwählt ist. Vielleicht gehört auch diese Unbescheidenheit in den wesentlichen Dingen zu einem bescheidenen Menschen wie Bouet. Damals lag sein Diplom an der Burg Giebichenstein in Halle genau ein Jahr zurück. Ronald Paris war sein Lehrer. Was würde er zu den heutigen Farbgewittern seines Schülers sagen? Damals, Bouet weiß es genau, hätte er gesagt: Um Himmels willen, nein!
Als er während seines Zivildienstes Menschen manchmal bis ins Sterben begleitete, konnte er keinen Pinsel halten. Aber das würde wiederkommen, er wusste es. Es kam wieder, fast ohne Farben, sehr nächtig. So malte er Spanien: ein Dunkelland, mit plötzlichen Aufhellungen, Rötungen, brandigen Zukunftsrändern. Bouet steht zwischen seinen neuen Farbexplosionen – sie sind fast alle in diesem Herbst entstanden – und sucht ein Wort für sein schwarzes Spanien und sein nicht viel helleres Südfrankreich von damals: „Es waren … nein, nicht Kopf-, es waren Herzgeburten.“
Herzgeburten. Ein schönes Wort. Seine neuen Bilder sind es wohl auch noch immer, wenn man die Voraussetzung macht, dass da einer mit dem Herzen sieht. Und zwar ganz unmittelbar, ohne erst den Verstand zu befragen, ohne Vorbereitung, ohne Skizze. In der Umgebung des kleinen Ortes Gommern bei Magdeburg können Autofahrer manchmal einen jungen Mann am Straßenrand stehen sehen, den Oberkörper vorgebeugt, die Beine weit auseinander, die Arme, stark und schnell über dem Boden schwingend. Dazwischen immer wieder kurze Blicke nach oben. Nicht jedem scheint das unverdächtig. Manche halten auch an, etwa die Polizei. Was machen Sie da?, will sie dann wissen, und irgendetwas an Bouets Auskunft, er male, scheint ihr jedesmal unbefriedigend. Richtige Maler stehen doch nicht an Landstraßenrändern, wo es nichts, aber auch gar nichts zu sehen gibt außer Landstraßenrandbäumen. Und benutzen richtige Maler nicht Staffeleien? Aber Bouets Bilder sind so groß, was für Staffeleien müsste er jedes Mal aufstellen! Und er mag dieses Arbeiten kopfüber, Leinwand auf Erde, erste Natur und zweite Natur, das jähe Aufblicken in den Baumhimmel. Hoffentlich stimmt das Licht noch! Es sind Kraftakte im Jetzt.
Andere malen, was sie wissen. Oder denken. Bouet malt bloß, was er sieht. Ganz naiv und doch nicht naiv, wie schon seine Mitmaler vor weit über hundert Jahren. Er ist ein Maler des Nächstliegenden. Das Nächstliegende für Christoph Bouet ist der Weg nach Menz oder diese wunderbare Allee mit den Birnbäumen. Er ist eben ein Gommern-Maler, so heißt sein Heimatort. Er weiß, die Dinge, die wirklich wichtig sind, kommen auch in Gommern vor. Oder auf dem Darß, und gegen Bouets Darß-Boote sehen van Goghs Südfrankreich-Boote vergleichsweise seekrank und blass aus. So als wollte der nur Farbe sparen.
Viele Maler heute sind Denkmaler. Sie müssen oft viel erklären. Bouet muss gar nichts erklären. Er kann unter seine Bilder „Weg nach Menz“ oder „Birnbäume im Frühling“ schreiben, er kann es auch lassen.
Irgendwann sah auch Bernhard Heisig ein Bouet-Bild, in dieser Galerie, die nun auch Bouets Galerie ist. Und Heisig sagte: „Sie können malen. Es ist ein gutes Bild.“ Mag sein, dass er den Doppelsatz beinahe ohne Ton gesprochen hat. Es ist seine Art, höchstes Lob zu vergeben.
Es wird dunkel vor den großen Galeriefenstern in der Auguststraße. Aber die Bouet-Bäume lohen, die Fischerboote gehen schon im Hafen auf große Fahrt, und die Steilküste des Darß scheint direkt ins Meer zu fallen.

 

Aus der Tube gedrückte Gemälde

Volksstimme
13.10.2010
Jörg-Heiko Bruns

Eigentlich sollte der jüngst verabredete Atelierbesuch an einem Feldrain nahe Gommern stattfinden. Allein der Dauerregen ließ das Vorhaben scheitern und so wurde es ein Atelierbesuch in den geschützten Räumen eines Hauses in der kleinen Stadt Gommern. Hier war zu hören, dass seit 2004 fast alle Bilder in der freien Natur entstehen. Wegen des grauen Himmels war aber auch ein Stilleben mit frischem Gemüse im Atelier aufgebaut und schon zu großen Teilen auf der Leinwand zu sehen, was einen für den Kunstfreund angenehmen Geruch von Ölfarben, Terpentin und somit frischer Arbeit ausströmte.
Selbst als Kurator der großen Ausstellung der Dinge Stand 2009 und 2010 muss ich gestehen, nichts von dem Maler Christoph Bouet in Gommern gewusst zu haben. Im Sommer entdeckte ich seinen Namen in Gera in der Ausstellung „Sachsen am Meer“ und bekam bald darauf eine Einladung vom Ahrenshooper Kunstkaten, wo er nach Manfred Gabriel seine neuesten Bilder ausbreiten konnte. Ein schöner Katalog der „Galerie Berlin“ zur Ausstellung bestärkte den Entschluss, diesem Mann schleunigst einen Besuch abzustatten.
Christoph Bouet, in Halle/Saale geboren, in Gommern aufgewachsen und dort und in Burg zur Schule gegangen, hat seine Liebe zur Malerei schon sehr früh entdeckt. Mal wollte er als Kind wie Spitzweg malen, mal erfand er lieber eigene Kompositionen. Seine Eltern hatten schon, als er dreizehn war, zwei große Reisekoffer voll mit Skizzenbüchern, Malpappen und Zeichenblöcken mit seinen Werken zusammengestellt und waren mit ihm nach Halle zur „Burg“, der nächstgelegenen Hochschule für Kunst, gefahren, um zu erfragen, ob die Bildende Kunst mal sein Beruf werden könnte. Dort befand man, es könnte. 1988, also schon vor dem Eintritt ins Gymnasium (damals noch EOS ab 11. Klasse) bestand er die Voreignungsprüfung und war so einer der seltenen Fälle, der gleich nach dem Abitur mit dem Kunststudium beginnen konnte. Bis dahin nahm er aber noch zusätzlichen Zeichenunterricht bei Wilhelm Paulke in Magdeburg. Dann studierte er bei Professor Ronald Paris an der Hochschule für Kunst und Design in Halle auf der Burg Giebichenstein. Seit 2000 arbeitete er freischaffend in Halle und Potsdam und seit 2005 in Gommern, wenn er nicht auf Mal- und Studienreisen ist in Frankreich, Italien, Kanada, Österreich oder den Niederlanden.
Eigene Ausstellungen hatte er bisher „nur“ in der Galerie Berlin (2008) und jetzt im Kunstkaten in Ahrenshoop, der wiederum eine Ausstellung in Berlin folgen wird. So erklärt sich vielleicht auch die Unkenntnis des Schreibers dieses Beitrages.
Der Atelierbesuch bringt aber auch weitere Überraschungen zutage. Sein Atelier riecht nicht nur nach frischem Farben und Terpentin, sondern riecht auch nach Musik. Eine Mal-Ecke ist ihm ja geblieben, aber ein größerer Teil des Raumes ist ausgestattet mit komplettem Schlagzeug, Gitarren stehen griffbereit neben dem Mischpult und die Decke des Raumes ist, Beuys lässt grüßen, mit Filz ausgespannt, um die Lautstärken zu zügeln. Und dann: In seinem Katalog finden sich auch Gedichte von seiner Hand. Bouet definiert das so: „Mit der Malerei bin ich verheiratet, es ist ja meine Jugendliebe. Und die Musik, zumeist Country-Rock, ist meine Geliebte. So bin ich ein äußerst ausgeglichener Ehemann der Malerei.“ Im wirklichen Leben ist er auch verheiratet und seine Frau ist eine seiner gefragtesten Kritikerinnen, der noch nicht ganz einjährige Sohn äußert sich noch nicht zur Kunst des Vaters, der als Maler, Dichter und Musiker eines der seltenen Multitalente ist.
Seit 2007 sieht er Kontinuität in seinem Werk. Bis dahin malte er seine sogenannten „Dunkelbilder“, die er als „innere Landschaften“ sieht. Jetzt geht er nach außen, malt in der freien Natur seine Landschaften in expressiver Farbigkeit, nicht mehr in monatelangen immer erneuten Korrekturen, sondern eher in einem kurzen, eruptiven Ausbruch drückt er seine Bilder aus den Tuben auf die Leinwand. „Hier habe ich meine Lichtblicke“ sagt er, wenn er wie einst die Postimpressionisten und Fauves nichts anderes gelten lässt als die freie Natur unter wechselndem Licht der Tages- und Jahreszeiten. „Vitale Farbschreie aus der Tube gedrückt“ überschreibt Astrid Volpert deshalb auch ihren Katalogtext über Christoph Bouet. Im Farbenrausch des Künstlers entstehen derzeit expressive Bilder, die mit den Farbmassen großartige Reliefs bilden und somit der Zweidimensionalität entfliehen und seine Kunst ein Stück mehr unabhängig machen. So entstanden neben Landschaften und Stilleben auch Porträts berühmter Künstler wie Günter Grass, Siegfried Lenz, Albert Camus, Max Beckmann u.a.
„Malerei ist eine Sprache“, formuliert Bouet und „meine Kerninformation dieser Sprache ist Glückseligkeit. Vor allem als Freude über die Geburt meines Jungen. In den Jahren davor, auch auf die Porträts bezogen, stand die physische Kraft meiner Malerei im Fokus. Der Gestus war rauer und größer, das Elementare der Naturansichten stand im Vordergrund. Seit März diesen Jahres hat sich eine „friedlichere“ Formsprache entwickelt, in der ich meine Freude über meinen Jungen ausdrücken kann.“ Dies sagt er selbstbewusst und völlig unbeeindruckt von gegenwärtigen Moden und dem Kunstmarktgetriebe. Er bekennt sich gern zu seinen Vorbildern, zu denen aus der Neuzeit sein Lehrer Ronald Paris, aber auch Bernhard Heisig oder Hartwig Ebersbach gehören.
Und wenn der Atelier-Besucher vor seiner Fahrt nach Gommern zunächst an Vincent van Gogh oder auch an Maurice de Vlaminck, dem van Gogh mehr bedeutete als Vater und Mutter, dachte, jetzt, als er das Atelier verließ, hatte er nur noch den jungen Maler Bouet und seine kompromisslosen Bilder vor Augen.