AHRENSHOOPER BILDER

Kunstkaten, Ahrenshoop

13. August 2010 - 21. September 2010
Plakat der Ausstellung "Ahrenshooper Bilder" 2010

Eigensinn in Farbe

Neues Deutschland
06.09.2010
Gunnar Decker

Man ist verblüfft. Wie unbekümmert sich dieser Fünfunddreißigjährige aus Gommern bei Magdeburg sein Bild von der Welt macht! Dieses Bild hat keine weiten Umwege genommen, geht vom Auge über die Tube direkt auf die Leinwand. Das Faszinierende: Da malt ein junger Mann - nach dem wieder und wieder durch die neuen Medien ausgerufenen Ende der klassischen Malerei! - so, als gelte es diese soeben zu erfinden. Natürlich weiß er um Expressionismus und Impressionismus, aber er spielt nicht damit, zitiert nicht einmal. In seiner schönen selbstbewussten Unmittelbarkeit, mit der er die Freiluftmalerei neu erfindet, beweist er, das weder der Begriff des Werks noch der des Künstlers antiquiert sind. Der Beweis von Kunst muss immer hier und jetzt geführt werden - und Bouet führt ihn kindlich und altersweise zugleich. Was für ein Maler, der sich nicht scheut die Farbe gleich kiloweise auf die Leinwand zu drücken -, und doch hat man keinen Augenblick den Eindruck, dies sei nicht unbedingt nötig. Er schert sich nicht darum, dass man ihn ein Epigonen, etwa Alexej von Jawlenskys, nennen könnte. Diese unbeeindruckbare Art, das Eigene zu machen, offanbart die Originalität Christoph Bouets.
Die Bilder schwarz-weiß zu reproduzieren, auch noch ausschnittsweise, heißt eigentlich, ihre Seele zu töten, denn die ist farbig. Bouets Bilder sind Farbexplosionen, die zu Form und Kontur erst aus einem gehörigen Abstand der Betrachtung finden. Was in der Nähe wie reines Chaos anmutet, findet, tritt man einige Meter zurück, zu einem Bild der Landschaft, das lebt. Bouets Bilder sind Erkenntnismodelle, deren sinnliche Kraft ein Fingerzeig für jede Form des Weltverstehens sein sollte. Wir sehen farbige Reliefe, die nie grob wirken, sondern auf kraftvolle Weise natürlich. Bei Bouet - er malt derzeit vor allem Meer und Küste - spürt man es in einer physischen Direktheit: Wie sehr muss doch die Kunst das Künstliche noch steigern, um das Werk am Ende auf eine Weise natürlich wirken zu lassen, die nichts Abbildhaftes besitzt, sondern das Ursprüngliche zeigt. So kommt die Bewegung ins Bild. Aus jener vom Künstler geradezu gewaltsam komprimierten Natur erwächst Faszination.
So jung Bouet ist, er hat bereits ein Frühwerk, das mit dunklen, fast apokalyptischen Schwarz-Weiß-Tönen und kurzen Pinselstrichen provoziert. Eine zeitlang malte er auch altmeisterliche Arrangements von Fischen, Fleisch und Gemüse. Auf der Burg Giebichenstein, wo er studierte, war er Meisterschüler bei Ronald Paris. Aber vor allem ist er, und das macht Hoffnung, ein Eigensinniger. Blättert man im Katalog seiner Werke, den die Galerie Berlin herausgebracht hat, hofft man schon auf die nächste radikale Wendung, mit der er sich treu bleibt.

Bilder wie die Feuerwerksmusik

Ostsee Zeitung
14.08.2010
Elke Erdmann

Ahrenshoop. Wie die Feuerwerksmusik von Händel, festliche Gehobenheit und Freude mit manchen nachdenklichen Zügen gemischt, erscheinen die Bilder des Malers Christoph Bouet im Kunstkaten Ahrenshoop. Zur Ausstellungseröffnung am Donnerstagabend standen viele Besucher bewundernd davor. Einhellig war die Meinung: Diese großformatigen Werke brauchen Abstand, Raum und Licht.

Der Maler aus Gommern bei Magdeburg war mit seiner sehr jungen Familie zugegen. Gern stellte er sich an sein Gemälde „Hafen Althagen IV“, das er wie im Rausch geschaffen hat. „Da steckt eine ganze Portion Glückseligkeit drin. Da nimmt man eine Tube Rot, eine Indischgelb und eine Blau – Azur, Kobalt, Ultramarin.“ Aber eigentlich sind mehr als 35 Tuben bei einem Malprozess involviert. „Es ist der ewige Kampf zwischen Wollen und Können. Am Ende ist das Wissen: Es ist ein gutes Bild. Mitunter muss man Monate auf den Moment warten.“ Dann geht es los: eruptiv, ungeordnet, lebendig, quirlig.
„Das sind die Postkartenblicke von eins bis zehn“, meint der Maler: Zwei Boote, Blick auf die Ostsee, Hohes Ufer... „Es sind so viele unterwegs. Aber es gibt auch noch den anderen Blick.“ Form und Farbe sind für Christoph Bouet entscheidend; gute Kompositionen nennt er einen Glücksfall. Tritt er nicht ein, „kommt der große Spachtel, und die Leinwand ist wieder leer.“ Herz und Seele müssen beim Malen dabei sein. Die Farbklänge transportieren den Geist, die kreative Kraft. Man merkt, sie fließt ungehindert durch. Je klarer, je kürzer die materielle Bindung im Arbeitsprozess, um so klarer erscheint das Ergebnis.
Der Berliner Galerist Rüdiger Küttner stellte den 36-jährigen Künstler vor, der schon mit vier Jahren Maler werden wollte und in Halle an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein bei Ronald Paris studierte. „Er hat uns die Haltung zur Kunst gelehrt“, sagt Bouet. Für seinen Galeristen ist er ein Vollblutmaler, ein genauer Beobachter, ein Könner, der weiß, was er tut und will. Seine Bilder sind gefühlte Sonnenglut. Lyrisch begleitet er sie wie in seinem Gedicht „Feuernacht“. „Nachmittag neigt sich dem Ende, bringt Zweige ins glühn…“. Dann springt sein Herz vor Freude.

 

Hohes Ufer mit Heuhaufen-Prinzip

Ostseezeitung
13.08.2010
Matthias Schünemann

Küstenansichten von Christoph Bouet werden ab heute im Kunstkaten Ahrenshoop gezeigt. Er zieht in die Gegend, legt die Leinwand auf den Boden und arbeitet nach der Natur.

"Sand ist immer mit drin" sagt Christoph Bouet. "Und kleine Insekten". Dekorativ findet der Maler das nicht, doch Fremdkörper sind unausweichlich. Christoph Bouet ist Freiluftmaler. Er zieht in die Gegend, legt die Leinwand auf den Boden und arbeitet nach der Natur. Seine Bilder sind Explosionen, Wutausbrüche in Öl, zentimeterdicke Faszinationen.
Heute eröffnet der Kunstkaten Ahrenshoop (Nordvorpommern) eine Ausstellung mit maritimen Motiven von Christoph Bouet: der Hafen von Althagen, ein Rohrdachhaus am Wasser, Bootsschuppen - und immer wieder das berühmte Hohe Ufer. Bouet wurde 1974 geboren-und er arbeitet im Fahrwasser einer langen Tradition: Die Freiluftmalerei schwappte im 19. Jahrhundert von Frankreich nach Deutschland über. Die Gründer der Künstlerkolonie Ahrenshoop waren Freiluftmaler. Paul Müller-Kaempff - auch er stand mit der Leinwand in den Dünen.
Und Bouet? Welches Verhältnis hat er zu den künstlerischen Vorvätern der Region? "Ganz ehrlich: Diese Malerei interessiert mich nicht", sagt Bouet. Und das nicht aus Geringschätzung, sondern eher zur Absicherung der eigenen Kreativität. Zu viele Blicke auf die Bilder anderer Maler könnten den Blick auf die eigenen verstellen. Beispiel: Er habe auch versucht, in Südfrankreich zu malen. Aber dort sahen alle Landschaften aus, wie von Cezanne gemalt. Im Hier und Jetzt stellt er sich lieber der Umgebung, die er an Ort und Stelle in farbgewaltige Bilder umsetzt. Freiluftmalerei, das sei eine der schwersten Disziplinen überhaupt, sagt Bouet. Im Atelier könne man sich alles Mögliche zurechtlegen. "Aber in der Natur muss ich von der Totale abstrahieren."
Wenn er "einen Lauf" habe, dann entstehe ein gültiges Werk in wenigen Stunden. Wenn nicht, dann werde die Leinwand rigoros wieder abgekratzt. Eine Malweise, die Bouet erst seit 2004 praktiziert. Nach dem Studium an der Burg Giebichenstein bei Halle/Saale habe er viel ausprobiert - und sei dann wieder zu dieser ursprüngliche Malerei zurückgekehrt, die ihn schon als Kind fasziniert habe.
Die Enststehungsgeschichten der Bilder ähneln sich. Mit wenigen Pinselstrichen wirft er die Komposition auf die Leinwand. Gemalt wird dann hauptsächlich direkt mit der Tube. Bouet schichtet Farbwürste, bis Hügel und Schluchten entstehen und die Bildoberfläche in die dritte Dimension greift. Mit den fein ziselierten Kompositionen der Vorväter hat das in der Tat nicht viel zu tun, es sind emotionale Landschaften, in denen Innenleben auf eine ungestüme Außenwelt trifft. Bilder, die mit ihren intensiven, weil nahezu ungemischten Farben, im wahrsten Sinn der Wortes einleuchten. Bilder, deren zerklüftete Oberfläche man berühren möchte, um sie auch physisch zu "begreifen". Der Skipper im Kutter, der Strandhafer im Wind - sie werden unmittelbar lebendig trotz des Abstraktionsgrades, der bei genauem Hinsehen doch nur aneinandergrenzende, einander verdrängende Farbschichten offenbart.
Wie auf der Leinwand auf diese Weise Bilder entstehen, in denen man sich als Betrachter wiederzufinden vermag - das ist, was Bouet als sein Experimentierfeld bezeichnet. Es gehe ihm darum, "malerische und formale Aspekte vor der Natur auszuloten", so Bouet. Und das übrigens auch in Texten: Im aktuellen Katalog sind Gedichte des Malers zu lesen. "Ich erkunde das Heuhaufenprinzip", schreibt er. Gemeint ist wohl: aus der Fülle der malerischen Mittel und der Motive das Gültige herauszuholen. Und die Energie, die in den Dingen, im Maler und im malerischen Akt schlummert, zu erwecken. Die Betrachter werden von dem einen oder anderen Bild hingerissen sein. Trotz oder vielleicht auch wegen der kleinen Inseln, des Sandes und der eingestreuten Insekten.